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Die Vita Marswidis (um 1300)

Um 1300 hat ein Mönch die Lebensgeschichte der Marswidis in verfasst: Die Vita Marswidis. Das lateinische Original, „auf Pergament in Dodez“ geschrieben, befand sich im 17. Jahrhundert noch im Schildescher Stiftsarchiv. Heute gilt es als verschollen. Der katholische Prediger Tegeler aus Schildesche hat im 17. Jahrhundert eine deutsche Übersetzung angefertigt, die Alemann in seine Chronik aufgenommen hat. Im 6. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg(1886) ist die Vita Marswidis abgedruckt worden, aus der einige Auszüge hier vorgestellt werden. Die Orthographie der im 17. Jahrhundert geschriebenen Übersetzung wird nicht geändert.

Es ist gewesen eine Adeliche Dame im flecken nahmens Waßega, genannt Marschwidis, welche an zierlichen Sitten und liegenden Gütern überflüssig reich gewesen. Selbige, weilen sie war ein eintzige Tochter, haben die Eltern aus Liebe, ihr hohes Geschlecht zu vermehren, der gebühr nach jung mit einem Adelichen Herrn verheyratet, die göttliche gütigkeit flehentlich anruffende, dass sie durch dieselbige einen Erben ihren so großen Ländern mögten erhalten, -aber Gott, mehr ein achtgeber eines rechtschaffenen Gebets als Erhöhrer eines Wunsches, hat einen sölchen erben, als sie verlanget, geweigert und ihnen einen unaussprechlichen verfolg vieler Nachkömmlingen, aus der Tugend, als eine fruchtbare mutter erziehlet, vorgeordnet. Die wirkung der gebehrenden Natur war in Marschwide vergangen, auf daß die auf-und annehmung der geistlichen kinder sich hernachher desto weiter mögte ausbreiten.

Marschwidis war ihrem Eheherrn unfruchtbar, damit aus ihrem hertzen eine unaufhörliche geistliche geburt desto nützlicher könnte herausgehen. Demnach dan Gott die ohnmacht der natur an Selbiger gezeiget, hat er die beermutter des von liebesfeuer brennenden herzens mit heyligen neigungen gefruchtbaret. Deswegen als die Eltern todes verblichen und der Eheherr der göttlichen schickung nach auch seelig verschieden und also aller sachen freye verwaltung und vollmacht bekommen, hat dieselbige, so in der verderblichen natur unfruchtbar war, die andächtige und Gott gefällige frucht ihres hertzens als eine geistliche Mutter ausgegossen. Zum Vorbild aber und muster ihres vorhabens hat sie gehabt die Kirche zu Herford, welche von Herrn Waltero jüngsthin eingeweihet, genannt ein Königlicher Sitz der geistlichen Jungfrauen, glücklich vermehrt von Königen und Fürsten in sehr glücklichen Zustand blühet. 

Marswidis hatte väterlicherseits zwei Verwandte. Ihr Vetter war Hogerus, Kanoniker der Paderborner Kirche; ihre Base war Emma, Kanonesse der Abtei Herford. Beide suchten sie zur Wiederheirat zu bewegen. Sie aber blieb bei ihrem Entschluss, alle ihre Güter zum Bau eines Klosters zu geben, zu Ehren der Maria und des Täufers Johannes. Alle drei begaben sich in die nahe Kirche zur Messe. Marswidis verschwand dann eine kleine Weile in ihre nahe Wohnung, legte den reichen Schmuck der Edelfrau, dieHalsketten und den in Gold durchwirkten Mantel ab und knüpfte um den Hals ein schlichtes Leintuch, umhüllte sich mit einem langen schwarzen Mantel und deckte das Haupt mit einer schwarzen Haube. Das ist ohne Zweifel die älteste Tracht der Kanonessen gewesen. Marswidis kehrte in die Kirche zurück, kniete vor dem Altar nieder und gelobte sich dem Herrn. Sie ernannte Emma zur ersten Äbtissin des Klosters.

Mit Hogerus begab sie sich nach Paderborn, um zu der beabsichtigten Neugründung die Erlaubnis des Bischofs Dudo (935-960) einzuholen. Sie wollte das Kloster nicht neben der alten Kirche nördlich des Baches errichten, sondern an einem besseren Ort südlich des Baches. Auch dazu erhielt sie die bischöfliche Erlaubnis. Das war im Jahr 939, im dritten Jahr der Regierung Kaiser Ottos I. und im ersten Jahr der Regierung des Papstes Stephan IV. Nach der Heimkehr bezeichnete sie den erwählten besten Platz ihres Hofes, wahrscheinlich den Esch, durch Aufrichtung eines Kreuzes. An der Stelle des Hochaltars kniete sie nieder unter Lob und Dank. Der Platz der alten Kirche hieß fortan Altenschildesche, der der neuen Neuenschildesche. 

[...] 940 weilte Kaiser Otto I. in Corvey. Dahin begab sich Marswidis in Begleitung des Bischofs Dudo, der den Kaiser bat, das Kloster Schildesche in seinen Schutz zu nehmen. Der Kaiser übernahm die Vogtei über das Kloster und gewährte ihm auch die Wahl einer Äbtissin. Über den Grundbesitz und die Leibeigenen erhielt das Kloster dieselbe Macht wie alle anderen Klöster. Die Urkunde über diese Rechte wurde ausgestellt in Corvey am 27. September 940 und ausgefertigt durch den Kanzler Bruno, des Kaisers Bruder, den späteren Erzbischof von Köln und Herzog beider Lothringen.[...] Als der Bau der Kirche vollendet war, hatte Marswidis nur noch den einen Wunsch, Reliquien des heiligen Täufers Johannes zu besitzen, denn ihm war die Kirche geweiht. Sie reiste nach Rom, wo 942-946 der Papst Marinus II. regierte. Sie erhielt auf ihre Bitte Reliquien des Täufers, des Staphanus und anderer Heiligen. Nach mühseliger, von Wundern begleiteter Reisen kam sie nach Paderborn zurück. Der nächste Tag führte sie durch die Senne bis nach Sellhausen. Hier auf heimatlichem Boden wurde der alte heidnische Flurumhang durch eine christliche Prozession ersetzt. Marswidis ordnete an, dass dieselbe alljährlich am zweiten Pfingsttage wiederholt werden soll. Am Tage nach dem Feste sollten dann die heiligen Reliquien nach Schildesche zurückgebracht werden. Der Hof Sellhausen ist durch 900 Jahre Eigenbehöriger des Stiftes gewesen. Vielleicht war er der Stammhof der Marswidis. Von Sellhausen aus war die Rückkehr der Marswidis in Schildesche gemeldet worden, die ganze Gemeinde kam ihr entgegen, und im festlichen Zuge wurden die Reliquien in die Kirche gebracht.An einem 30. Juli der nächsten Jahre ist Marswidis gestorben und im östlichen Kreuzgang beigesetzt worden. Eine jährliche Gedenkfeier hielt ihr Gedächtnis wach.